Verständnis für Rechenoperationen

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Verständnis für Rechenoperationen

Wie bereits erwähnt verfügen bereits Kleinkinder über ein Basisverständnis für Rechenoperationen: zu einer Menge wird bei der Addition etwas dazu gegeben, bei der Subtraktion wird etwas weggenommen. Das entspricht ganz den kindlichen Sachsituationen, wenn etwas vermehrt oder vermindert wird. Im schulischen Mathematikunterricht soll dieses Verständnis anhand des Erfassens des Teil-Teil-Ganzes-Konzepts erweitert werden: Addition zeigt sich hier als die Vereinigung zweier Mengen, Subtraktion als die Abtrennung einer Teilmenge vom Ganzen. Zur dynamischen Sichtweise (hinzugeben, wegnehmen) kommt also eine statische Sichtweise der Zahlenstruktur: Addition und Subtraktion sind in einem Bild fassbar, in dem die Bewegung der Elemente nur gedacht wird: in der strukturierten Zahl.5

​​​​​​​5 Operationen und Zahlen sind also sehr eng verzahnt. Das eine kann das andere ausdrücken.

Beim Ergänzen und Vergleichen kommt eine Vorstellung zum Einsatz, die als neuer Zahlenaspekt gebildet wird: die Relationalzahl. Diese ist sowohl ordinal, als auch kardinal zu deuten, weil sie ordinal den Abstand zwischen zwei Zahlenpositionen und kardinal den Unterschied zwischen zwei Mengen bezeichnet. („Von  15 fehlen 3 auf 18, zu 15 müssen    3 hinzukommen, damit es 18 sind.“) 6

6 Diese stets zumindest doppelt interpretierbaren Modelle stellen ein entscheidendes Hindenis für rechenschwache Kinder dar, die immer alles schematisch erklärt bekommen (wollen).

​​​​​​​Die Semantik der Operationen wird anknüpfend an die vorschulischen Rechenerfahrungen der Kinder und in der kontinuierlichen Bearbeitung von kindlichen Sachsituationen gefestigt7. Die Kinder verknüpfen ihre täglichen Erfahrungen mit mathematischen Strukturen und erleben, wie Muster und Strukturen wiederum ihr Sachwissen über ihre Welt erhöhen. In der Bearbeitung von Textaufgaben wird beim „Modellieren“ auf die Semantik der Zahlen und Operationen zugegriffen – es wird der „Umweg“ über die analoge Mengen- vorstellung genommen. Aufgaben sollten aber nicht – wie traditionell üblich – stets im verbalen Code (“Auf dem Spielplatz sind 4 Kinder. …“) formuliert werden, sondern auch vom visuell-arabischen Code („Wie sieht 3 + 4 = 7 im Material aus?“ „Mache zu 3 + 4 = 7 eine passende Rechengeschichte!“), oder  dem  analogen  Code  ausgehen  („Wie  kann  man   ••••  ••••  als Rechnung aufschreiben?“ „Mach dazu eine passende Rechengeschichte für deine Mitschülerinnen und Mitschüler.“). Textaufgaben können insbesondere auch genutzt werden, um ein fortgeschrittenes Zahlverständnis zu entwickeln, das über die reine Zählfunktion hinausgeht. „Sandra hat vier Kaugummis mehr als Timo“ bezeichnet keine konkrete Menge (Kardinalität), sondern eine Relation von zwei Mengen, einen Abschnitt auf dem Zahlenstrahl (Stern, 1998).

7 In traditionellen Rechenbüchern kommen Textaufgaben sehr oft in Form der eingekleideten Aufgabe vor, in der das gerade gelernte Rechenkapitel in mehr oder weniger geeigneten Sachsituation geübt wird. Das für die mathematische Entwicklung so wichtige Modellieren findet so aber grade nicht statt.

Nun kommen auch die ersten Rechengesetze ins Spiel. Für die Addition reichen in der Grundschule 2 Rechengesetze aus: das Vertauschungsgesetz [a + b = b + a] und das Verbindungsgesetz [a + (b + c) = (a + b) + c]. In dieser formalen Fassung sind diese Gesetze erst in der Sekundarstufe relevant, sie beherrschen aber schon das Rechnen der untersten Stufe, wenn sie „operativ“ im Rechnen als Tätigkeit gedeutet werden (vgl. Wittmann, 2011). Dies gelingt, wenn die in diesen Gesetzen verborgenen Handlungen an geeigneten Zahlendarstellungen entdeckt werden. Die Anwendung des Vertauschungs- gesetzes ist sehr einfach durch Platzwechsel bei einer strukturierten Zahlendarstellung  zu erreichen und dient der Vereinfachung der Vorstellung sehr ungleicher Summanden. (Beispiel: 2 + 8 ist schwerer vorstellbar als 8 + 2). Es gilt bei Addition und Multiplikation.

Das Verbindungsgesetz erlaubt drei verschiedene Interpretationen, die für das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Rechnungen entscheidend sind:

  • Eine Summe kann schrittweise berechnet werden, indem Mengen in Untermengen zerlegt und anders wieder zusammengesetzt werden. [Beispiel: 7 + 8 = (5 + 2) + (5 + 3) = (5 + 5) + (2 + 3) = 10 + 5 = 15] (Zehnerübertritt mit der Kraft der 5)
  • Eine Summe kann schrittweise berechnet werden, indem Mengen in Untermengen zerlegt und anders wieder zusammengesetzt werden. [Beispiel: 7 + 8 = (5 + 2) + (5 + 3)]
  • Wenn ein Summand um einen bestimmten Wert erhöht wird, wird die Summe um den gleichen Wert erhöht. [Beispiel: 7 + 8 = 7 + (7 + 1) = (7 + 7) +1 = 14 + 1 = 15] (Ableitung einer Zehnerüberschreitung aus der Verdoppelung)
  • Wenn ein Summand auf Kosten des anderen Summanden erhöht wird, bleibt die Summe gleich. [Bespiel: 7 + 5 = (7 – 1) + (5 + 1) = 6 + 6] (gegensinniges Verändern)

Die operative Anwendung dieser Rechengesetze, die Nutzung zur Vereinfachung von Rechenwegen und die sich daraus ergebende Perspektive, schwierige Rechnungen nach Möglichkeit aus einfachen Rechnungen zu entwickeln, hilft bei der Vertiefung des „den- kenden“ Rechnens (Wittmann, 2011), das in der Vergangenheit nur für die Mathematik- talente unter den Schulkindern reserviert schien. Gerade Kinder, die sich mit dem Rechnen schwerer tun, fahren mit den Werkzeugen, die in der Natur der Mathematik liegen, am besten (vgl. Gaidoschik, 2010). Reflexion und Kommunikation über Zusammenhänge in produktiven Übungsformaten und herausfordernden Aufgaben8 und das Verstehen der Rechenwege anderer Kinder aktivieren die inneren Vorstellungen. Mechanisches Üben von formalen Rechnungen leistet dies nicht.

In der Multiplikation / Division lernen die Kinder einen bisher unbekannten Zahlenaspekt kennen: die Zahl als Operator. Anders als bisher gewohnt stellen die geschriebenen  Ziffern nicht mehr ausschließlich eine Menge („Wie viele?“), sondern einen Vorgang („Wie oft?“) dar.  (Bei 3 + 5 ist mit 3 die Anzahl gemeint, zu der die Anzahl 5 dazu gegeben   wird. Bei 3 × 5 ist mit 3 die Wiederholung gemeint, wie oft die  Anzahl  5  genommen wird). Das kleine 1 × 1 gehört zu den Kernbereichen des rechnerischen Faktenwissens (Gaidoschik, 2015), weil dessen Automatisierung (spätestens Mitte der 3. Schulstufe) eine Voraussetzung für das Verständnis der Division und der Brüche darstellt und schriftliche Rechenverfahren ermöglicht. Die Kernaufgaben der Multiplikation,  die  Verdoppelung,  die Verzehnfachung und die Verfünffachung (über das Halbieren) sind relativ leicht vorstellbar und damit gut zu merken.9 Die anderen Aufgaben können und sollten über Ableitungsstrategien erarbeitet werden. Zum Beispiel können Kinder 9 × 7 als 10 × 7 – 1 × 7 ableiten. Voraussetzung dafür sind die Automatisierung von Addition, Subtraktion und Zerlegung im Zahlenraum 10 und Einsicht in das Dezimalsystem und Strategien für Stellenüber- und Stellenunterschreitungen.

Das Dividieren stellt die Umkehrung des Multiplizierens dar und analog zur Unter- scheidung von Multiplikator und Multiplikand gibt es zwei Grundformen: Das Verteilen („24 Karten werden an 6 Kinder gerecht verteilt, wie viele Karten erhält jedes Kind?“)  und das Aufteilen („24 Karten werden verteilt, jedes Kind bekommt 4 Karten. An wie  viel Kinder kann man austeilen?“)

 

8 Entgegen dieser Maxime bestehen die meisten Aufgaben in Rechenbüchern in Dingen „die bereits gelernt“ sind und in Übungseinheiten unzusammenhängender formaler Übungen.

​​​​​​​9 Tatsächlich werden oft noch flächendeckend die „Malreihen“ der Reihe  nach  direkt  aus- wendig gelernt. Weil wir Erwachsene es so gelernt haben, besteht weitgehend die Meinung,    die Malreihen müssten eben auswendig gelernt werden.

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